Spielfreude, Sinnlichkeit, Kreativität, Literatur, Aufklärung, Aktualität, Risikobereitschaft, politisches Bewusstsein, gesellschaftliche Relevanz, Pluralismus und künstlerische Qualität sind Anspruch und Markenzeichen des kleinen Kasemattentheaters, das dabei immer auch versucht eine künstlerische Plattform für Experimente und vor allem junge Theaterschaffende zu bilden. In diesem Sinne versucht das Kasemattentheater immer aufs Neue ein Garant für spannendes, innovatives, kritisches, literarisches und zeitgenössisches Theater zu sein.
Am 11. Dezember 1964 wurde das Kasemattentheater unter seinem offiziellen Namen "Centre Grand-Ducal d'Art Dramatique" a.s.b.l gegründet. In dem bis dahin eher theaterverschlafenen Luxemburg der sechziger Jahre schwebte dem Gründer Tun Deutsch (1932-1977) ein avantgardistisches Theaterschaffen vor, das nicht nur die interessierte Bourgeoisie, sondern ein ganz neues Publikum in einer neuen Spielstätte anziehen sollte. Über diese Truppe versuchte der Schauspieler Tun Deutsch das Berufsbild des Schauspielers in Luxemburg bekannt zu machen, um vor allem auch die luxemburgische Jugend zum Theater zu bringen. Im Jahre 1965 entstand dann die Idee, im Sommer ein Theaterfestival in den Festungsmauern der Stadt Luxemburg, Kasematten genannt, zu organisieren. Mit "La leçon" und "La jeune fille à marier" von Ionesco begann im Juli 1965 das erste Sommerfestival in den Bock-Kasematten. Bald schon wurde das „Großherzogliche Zentrum für Schauspielkunst“ nach dem ungewöhnlichen Ort benannt, an dem seine Produktionen stattfanden: Kasemattentheater. Im Sommer waren in den Bock-Kasematten unter anderem Texte Ionescos, Becketts, Brechts oder Mrozeks zu hören. Aus dem reichhaltigen Spielprogramm der folgenden Jahre seien nur einige Autoren hervorgehoben, wie Sartre, Ionesco, Obaldia, Camus, Saunders, Mrozek, Walser, Kafka, Fo, Schiller, Ibsen, Brecht, Fassbinder, Cechov, Kreisler, Pinter u.v.a. Neben der Arbeit des Gründers und Leiters Tun Deutsch wurde das Kasemattentheater zu jener Zeit künstlerisch auch von Jos Noerden (1927-1991), und Georges Ourth (1942-1988) geprägt. Letzterer inszenierte dann auch, den vielleicht größten Erfolg des Kasemattentheaters in den siebziger Jahren (Spielzeit 1975/76), Die Emigranten von Mrozek, mit Tun Deutsch und Fernand Fox. Auch mit seinen literarischen Kabarettprogrammen füllte das Kasemattentheater eine Lücke im kulturellen Leben Luxemburgs aus: Aus dem gelungenen Versuch, im Jahre 1972 einen Tucholsky-Abend zu veranstalten, wurde eine Institution, die über Jahre hinaus die Literatur-und Kabarett-Freunde in Luxemburg begeisterte.
Tun Deutsch erlag im Oktober 1977 im Alter von nur 45 Jahren einem Herzversagen. Doch besteht das Kasemattentheater, fünfzig Jahre danach, weiter. Viele der Luxemburger Theaterschaffenden, die er auf ihrem Weg geleitet hatte (André Jung, Josiane Peiffer, Frank Hoffmann, Germain Wagner u.a.), haben mittlerweile im In-und Ausland eine beachtliche Karriere gemacht und immer noch lebt sein schöpferischer Geist in den luxemburgischen Theaterproduktionen, für die mit Tun Deutsch eine neue Ära begann. Die frühen Erfolge des Kasemattentheaters hatten Bewegung in die Theaterszene gebracht, sodass es für die Verantwortlichen kein Bedenken gab, sein Werk weiter zu führen. Vor allem der langjährige Präsident und spätere Ehrenpräsident Pierre Capesius (1930-2013) versuchte in den achtziger und neunziger Jahren das Kasemattentheater am Leben zu erhalten. Nachdem das Theater jahrelang verschiedene Provisorien bespielt hatte (so von 1991 bis 1997 im alten Tramsschapp auf Limpertsberg), konnte das Kasemattentheater im März 1998 dank der Unterstützung der Gemeindeverwaltung der Stadt Luxemburg eine feste Spielstätte in Luxemburg-Bonneweg beziehen. Das kleine Theater wurde dann auch, wiederum mit der finanziellen Hilfe der Stadt Luxemburg, in der Saison 2012/2013 komplett renoviert und zu einem variablen und multifunktionellen Spielort umgestaltet.
Seit der Spielzeit 2008/2009 hat das Kasemattentheater, zunächst unter der künstlerischen Leitung von Germain Wagner zusammen mit dem Dramaturgen Marc Limpach, eine neue Dynamik entwickelt und präsentiert dem Publikum seither ein komplettes Spielzeitprogramm. Seit Anfang 2015, wird das Kasemattentheater gemeinsam von Lex Weyer, Grafiker und Präsident des Verwaltungsrates, und von Marc Limpach (Dramaturgie), verwaltungstechnisch und künstlerisch geführt. Das Kasemattentheater setzt heute mehr denn je auf, zumeist moderne, deutschsprachige Stücke in Form von innovativen Inszenierungen. Die Autoren reichen von Georg Büchner über Heiner Müller zu Elfriede Jelinek, Dea Loher, Falk Richter, Sarah Kane, Yasmina Reza, Rebekka Kricheldorf, Will Eno, Chris Thorpe Fausto Paravidino, Lot Vekemans, Fanny Sorgo, Charel Meder, Olivier Garofalo, Pol Sax, Ian De Toffoli und Guy Helminger. Der Spielplan gibt ganz bewusst modernen Autoren und oft auch jungen Regisseuren (z.B. Anne Simon, Thierry Mousset, Daliah Kentges, Jacques Schiltz, Jens Bluhm, Calle Fuhr, Sandra Reitmayer u.a.) und jungen Schauspielern den Vortritt, ob bei Eigenproduktionen oder bei nationalen oder internationalen Koproduktionen. Da das Kasemattentheater sich besonders literarischen Texten verschrieben hat, liegt ein weiterer Schwerpunkt der Dramaturgie für jede Spielzeit auf spezifisch erarbeiteten Lesungen, ob zu einem Themenschwerpunkt (z.B. Vom Krieg der Geschlechter (2009/10), Vom großen Fressen (2009/10), Geld mon Amour (2012/13) Unglücklich die Zeit, die Helden nötig hat! (2015/2016) über Kollaboration und Widerstand, FAKE! (2017/18) über/gegen autoritären Rechtspopulismus) oder zur Auseinandersetzung mit bestimmen Autoren (z.B. Fetzen, Splitter und andere Gedichte (2007/08) von Frantz Clément, Alex Weicker und Karl Schnog über die Zwischenkriegszeit in Luxemburg, Tucho und K. (2008/09) mit Briefen Franz Kafkas und Kurt Tucholskys, Ein Heimatabend für Nestbeschmutzer! (2010/2011) mit Texten von Max Frisch, Thomas Bernhard und Roger Manderscheid, Lieber Noerden! (2015/16) als Rückblick auf die Karriere des Brecht-Schauspielers und Dichters Jos Noerden, usw.)
Doch das Theater wird, neben seinem Programm, vor allem von den vielen Künstlern geprägt die an dem kleinen Haus wirken. In den letzten Jahren, seit der Spielzeit 2008/2009, waren unter anderem folgende luxemburgische und ausländische Künstler (Schauspieler / Regisseure / Autoren / Musiker / Bühnenbildner) im Kasemattentheater tätig: Eugénie Anselin, Cathy Baccega, Marc Baum, Ela Baumann, Stephan Baumecker, Paula Beer, Pavla Beranova, Pol Belardi, Jean Bermes, Markus Bernhard Börger, Fabienne Biever, Marco Bindelli, Jens Bluhm, Valérie Bodson, Roland Bonjour, Nickel Bösenberg, Flori Burgmayr, Max Claessen, Michel Clees, Pol Cruchten, Ian De Toffoli, August Diehl, Hans Diehl, Catherine Elsen, Karin Enzler, Véronique Fauconnet, Misch Feinen, Luc Feit, Frank Feitler, Petra Förster, Fernand Fox, Calle Fuhr, Claude Frisoni, Hans-Jörg Frey, Olivier Garofalo, Katharina Gaub, Christian Gerber, Volker Gerling, Max Gindorff, Roby Glod, Annick Goerens, Sara Goerres, Julie Goldsteinas, Pol Greisch, Nataša Grujović, Niko Haenel, Wolfgang Hagemann, Meike Harten, Melanie Haupt, Guy Helminger, Nico Helminger, Arend Herold, Max Herzogenrath, Fabienne Elaine Hollwege, Lena Hoss, Maira Inselmann, Victoria Janisch, Judith Jakob, Catherine Janke, Elisabet Johannsdottir, André Jung, Anja Jungheinrich, Wicki Kalaitzi, Barbara Kastner, Steve Karier, Daliah Kentges, Catriona Kerridge, Colette Kieffer, Jean-Marie Kieffer, Fredi Kleinheinz, Sarah Klenes, Nora Koenig, Liza Khol, Yuko Kominami, Vicky Krieps, Ines Krug, Uli Kuhlmann, Margaux Laborde, Greg Lamy, Felix Lange, Judith Lecuit, Al Lenners, Sascha Ley, Johan Leysen, Carole Lorang, Marc Limpach, Patricia Lippert, Stephan Lohse, Claudius Lünstedt, Rosalie Maes, Lucie Majerus, Raymond Majerus, Julia Malik, Witthart Malik, Marly Marques, François Martig, Nadia Masri, Ulrich Matthes, Stefan Maurer, Charel Meder, Ilka Meier, Mario Mentrup, André Mergenthaler, Barbara Michel, Jérôme Michez, Carlo Migy, Antoine Morin, Thierry Mousset, Charles Muller, Claudine Muno, Christophe Nanquette, Hans Narva, Silvie Naunheim, Désirée Nosbusch, René Nuss, Annemie Osborne, Florian Panzner, Josiane Peiffer, Katharina Pohlheim, Dominik Raneburger, Elsa Rauchs, Christiane Rausch, Tammy Reichling, Michel Reis, Sarah Rock, Nathalie Ronvaux, Martina Roth, Marion Rothaar, Annabelle Safran, Pol Sax, Leila Anaïs Schaus, Anouk Schiltz, Jacques Schiltz, Luc Schiltz, Jeff Schinker, Lambert Schlechter, Raoul Schlechter, Paul Schröder, John Schlammes, Milli Schlesser, Elise Schmit, Dominique Schnizer, Daliah Scholl, Benjamin Schönecker, Moritz Schönecker, Liss Scholtes, Albrecht Schuch, Clara Schulze-Wegener, Philipp Sebastian, Anne Simon, Pitt Simon, Aureliusz Smigiel, Mira Stadler, Lena Sutor-Wernich, Roby Steinmetzer, Claire Thill, Milla Trausch, Christin Treunert, Hermann Treusch, Georges Urwald, Pit Vinandy, Luka Vlatkovic, Anouk Wagener, Claire Wagener, Germain Wagner, Nikola Weisse, Jeanne Werner, Jules Werner, Thierry van Werveke, Maité Wiltgen, Christian Wirmer, Lea Whitcher, Peggy Wurth, Angelika Zacek, Luboš Zbranek, u.v.a.
Das Talent, die Kreativität und die Spielfreude dieser und anderer Künstler, sowie das Interesse und die Offenheit unseres Publikums, wird auch in Zukunft das Kasemattentheater ausmachen.
Zur Geschichte des Kasemattentheaters, vgl.: LIMPACH, Marc: „Streifzüge durch die Geschichte und die programmatische Ausrichtung des Kasemattentheaters“, in: 50 Jahre Kasemattentheater: 1964-2014. Red. und Koordination: Germaine Goetzinger, Marc Limpach, Lex Weyer. Luxemburg: Centre Grand-Ducal d’art dramatique, 2014, S. 11-79.